Brilon. Der Vergangenheit einen Platz in der Gegenwart geben, das hat der Briloner Heimatbund - Semper Idem nun mit einem besonderen Projekt in die Wege geleitet: Eine Glocke aus dem Jahr 1920, gefunden bei einem Hausabriss, hat nun einen würdigen Platz in Brilon gefunden. Doch was hat es mit dieser Glocke auf sich?
„Hier an diesem geschichtsträchtigen Ort, dem ehemaligen Standort des Ledriker Tores hat der Briloner Heimatbund - Semper Idem diesen Glockenstuhl mit einer Glocke aus dem Jahre 1920 der Briloner Glockengießerei Junker aufgestellt,“ berichtet Winfried Dickel bei der offiziellen Übergabe am Dienstagnachmittag beim Kreisverkehr gegenüber des Hotels Wallgraben. Eine Glocke von vielen, die in der Glockengießerstadt hergestellt worden sind, aber dennoch eine ganz andere Geschichte, oder vielmehr Verwendung, erfahren hat.
„Tiefbauunternehmer Helmut Tilli hatte den Auftrag, das ehemalige Wohnhaus der Glockengießerfamilie Junker abzureißen. Es stand hier hinter der Mauer, an dem später das Mehrfamilienhaus gebaut wurde. In dem Garten fand er die Glocke aus dem Jahre 1920. Er erhielt die Genehmigung, sie mitzunehmen“, weiß der Vorsitzende des Briloner Heimatbundes zu berichten: „Im vergangenen Jahr rief er mich an, ob der Briloner Heimatbund Interesse an der Glocke habe. Die Sache nahm Fahrt auf. Mit Bürgermeister Dr. Christof Bartsch und Bauamtsleiter Marcus Bange war schnell der geeignete Ort für die Installation gefunden.“ Ein besonderer Platz, wie sich bei der Besichtigung vor Ort herausstellt. „Hier an dieser Stelle können wir die komplette Stadtgeschichte erzählen“, schwärmt Winfried Dickel: „Hier haben wir das kleine Stadttor und das Gemälde an der Wand, um das mittelalterliche Stadtbild mit Wall, Graben, Stadtmauer, Türmen und Stadttoren zu erklären. Hier war der Pfandstall. Es wurden von der Stadt Esel beschlagnahmt, wenn die Eseltreiber mit ihnen Holz gestohlen hatten. Hier stand das ehemalige Haus des Richters Snaarmann. Seine Tochter heiratete den Junker von Cobbenrode. Als Mitgift erhielt sie den Oberwald und ganz Altenbüren. Der Junker verjubelte den gesamten Besitz. Brilon kaufte 1524 ganz Altenbüren. Hier gab es um 1840 das erste Waisenhaus des Regierungsbezirkes Arnsberg. Bis dahin wurden die Waisenkinder versteigert. Hier ging es zum Siechenhaus und zur Pestkapelle.“
Dann schlägt der Geschichtsfan den Weg zur Glocke ein: „Vor allem aber geht es um die Glockengießerei. Brilon ist ein Wirtschaftsstandort von außerordentlicher Bedeutung. Zu den prägenden Betrieben aller Art gehören Handwerksbetriebe ebenso wie weltweit agierende Industriebetriebe. Alle Betriebe haben mit ihren Produkten einen hervorragenden Ruf in der Region und zahlreiche Firmen weltweit. Sie stehen für unsere Stadt. Wir sind stolz auf deren Produkte und darauf, dass sie Arbeitsplätze für Briloner und Mitarbeiter auch aus dem weiteren Umkreis zur Verfügung stellen. Solch ein überregional und sogar weltweit tätiges Unternehmen gab es bereits in früheren Jahrhunderten bis zum Jahre 1959. Es war die Briloner Glockengießerei mit der einzigen Glockengießerschule Deutschlands.“
Mit hörbarer Begeisterung zieht Winfried Dickel dann die Gäste bei der Übergabe des Glockenstuhls weiter in seinen Bann: „Die Geschichte der Glockengießerei ist noch heute im In- und Ausland in zahlreichen Kirchen, Glockenmuseen, Archiven und insbesondere in dem Museum Haus Hövener direkt am Marktplatz Brilon gegenwärtig. Die Vergangenheit hat unseren Raum, die Stadt und die Region geprägt, sie würdigen wir, in der Gegenwart leben und wirtschaften wir und für die Zukunft stellen wir die Weichen. Die hier aufgestellte Glocke stand bis zum Abriss des Wohnhauses der Familie Junker hinter der Bruchsteinmauer in deren Garten. Die Klöppel wurden in der ehemaligen Schmiede der Familie Frigger in der Oberen Mauer geschmiedet. Wirtschaft und Kultur gehören untrennbar zusammen, dafür stehen der Briloner Heimatbund - Semper Idem und das Museum Haus Hövener direkt am Marktplatz mit seiner Glockenabteilung.“
Auf die Frage zur Geschichte der Fundglocke ist auch Museumsleiter Carsten Schlömer noch auf keiner heißen Spur: „Es ist eine voll funktionsfähige Glocke gewesen, die in Junkers Garten ihren Platz hatte.“ Dann fügt er mit einem Augenzwinkern, sicherlich nicht ernstgemeint, an: „Vielleicht als eine Art Blumentopf.“ Dann wird der Geschichtswissenschaftler wieder ernst: „Warum diese Glocke nicht den Weg in einen Kirchturm gefunden hat, wird wohl ein Rätsel bleiben.“ Diese Frage wird sich auch Daniel Bornemann von Metallbau Bornemann gestellt haben, als er die Aufhängung konstruiert und den Glockenstuhl an seinem heutigen Standort am Kreisverkehr installiert hat. „Es waren schon einige Tage Arbeit mit Planung, Bau und Lackierung“, erklärt der Metallbaumeister im Gespräch mit dem Sauerlandkurier: „Doch wie man heute hier sieht, hat sich der Aufwand für so ein Projekt gelohnt.“
Informationen zur Geschichte
Kurz vor 1780 wurde der Glockengießer Caspar Greve aus Grevenstein in Brilon ansässig. Der Sohn Jacob übernahm nach dem Tod des Vaters 1826 die Gießerei. Der erste Standort der Briloner Glockengießerei lässt sich anhand einer alten Flurbezeichnung „Am Glockenofen“ im Bereich der heutigen Stadtbibliothek lokalisieren. Nach dem Tod von Jacob Greve 1843 führte sein Neffe Heinrich Humpert (1813-1888) das Gewerbe zu einer großen Blüte. Glocken aus Brilon waren weithin bekannt und geschätzt. Sein Sohn Franz Humpert verkaufte die Gießerei 1918 an Albert Junker, weil sein Neffe und Erbe im Ersten Weltkrieg gefallen war. 1929 gründete Albert Junker die einzige Glockengießerschule Deutschlands. Mitte der 1930er-Jahre wurde die Glockengießerschule aus
politischen Gründen geschlossen. 1959 wurde die letzte Glocke in Brilon gegossen.
Großer Bahnhof bei der Übergabe des Glockenstuhls am Kreisverkehr Strackestraße und Derkere Mauer.
Bild oben: Mit dem 84-jährigen Engelbert Stratmann, der 1956 seine Lehre bei Albert Junker absolviert hat, war auch ein echter Glockengießer und Glockenfachmann zugegen.
Fotos: privat